Peter Petersen, Zum Inhalt: Phaedra ist eine Frau, die sich in ihren Stiefsohn Hippolyth verliebt. Da diese Liebe sowohl offiziell nicht tragbar wäre - und zum andern auch von Hippolyth nicht im geringsten erwidert wird, endet diese Liebe für beide in der Katastrophe. Der Zweite Teil der Oper von Hans Werner Henze ist eine Fortsetzung der mythologischen Vorlage, die auf eine antike Variante von Ovid anknüpft: Der zerrissene Hippolyth wird wieder zusammengesetzt und lebt - als Gefangener - weiter. Henze geht mit seinem Librettisten Lehnert aber noch weiter, indem er die tote Phaedra ebenfalls als Vogel wieder auftauchen lässt. Das unmögliche Liebesspiel geht mit diesen beiden Untoten spinnt sich fort. gekürztes Interview: Tilo Hähnel Peter Petersen: [...] [Der Bühnenarchitekt Olafur Eliasson] hat im Vorfeld gesagt, dass er von Musik und Oper eigentlich gar nicht so viel Ahnung hat und dass er sich hauptsächlich am Libretto orientiert hat. Ist das für Sie als Musikwissenschaftler und Henze- Kenner eher ein problematischer Ansatz? Ach, das würde ich nicht sagen. So ein Künstler bespricht sich ja mit Musikern, [...] und ich kenne viele Künstler, die nicht Musiker sind, die aber gleichwohl hochmusikalisch sind und ganz differenziert hören. Von daher muss das nicht dagegen sprechen [...]. Bei der Beschäftigung mit dem „Phaedra“- Stoff fällt mir auf, dass es eigentlich ein Hippolyth- Stoff ist. Also das ist eigentlich die große tragische Figur. [... Liegt] bei Henze der Fokus stärker auf Phaedra [...]? Also ich glaube, die halten sich in etwa die Waage [...]. Wobei im ersten Teil Phaedra noch stärker im Vordergrund steht als Hippolyth [...]. Phaedra ist natürlich die tragische Figur, weil sie sich selbst in eine Verstrickung bringt, aus der sie nur mit dem Selbstmord heraus kann. [...] Hippolyth gewinnt nur gegen Schluss so etwas wie die Qualität einer Selbstbefreiung, in der er wirklich dieses ganze Intrigenspiel durchbricht und hinter sich lässt - einigermaßen turbulent übrigens, indem er Statuen der Göttinnen umschmeißt und Phaedra von sich stößt und so weiter, um frei zu sein von diesem ganzen merkwürdigen Ambiente. Kann man das dann auch symbolisch als „Überwindung der Religion“ deuten, [...] wenn diese [Götter] von Hippolyth umgeworfen werden und er sich von ihnen verabschiedet: Ist das auch ein Zeitbezug, der auf das Heute rekurriert? Das glaube ich nicht. Denn die antike Religion ist überhaut gar nicht mit irgendeiner Religion von heute vergleichbar - schon gar nicht mit dem Christentum. Denn die Götter waren ja immer nur Partikularwesen, die zuständig waren für einzelne Bereiche. Und dies ist also eine heidnische Religionsform, die ganz und gar menschlich eigentlich war. Und darum glaube ich nicht, dass auf dem Wege ein Zeitbezug herzustellen ist. Sie haben es angesprochen [im Vortrag]: Henze hat sehr wenig Musiker, aber dafür umso mehr Instrumente in die Oper reinkomponiert. Wie ist die Verbindung zwischen den Figuren und ihrer Instrumentierung? [...] Henze [...] versucht, die Nähe bestimmter Klangfarben der Orchesterinstrumente zu den Figuren herauszustellen. [...]. Die Blechblasinstrumente gehören auf die Seite Aphrodites und Phaedras, die ja Königin von Athen ist, also repräsentative Rollen zu spielen hat. Und die Holzblasinstrumente gehören dem Jagdbereich an. Hippolyth lebt im Wald und seine Schutzgöttin ist die Göttin der Jagt, wo das Holz einfach das Grundmaterial ist. Und das drückt sich selbstverständlich auch in der Farbe der Klänge aus. [...] Von daher bezieht er aus dem Stoff selber schon Grundentscheidungen für den Einsatz bestimmter Instrumentalfarben. Und diese Verbindung der Menschen und der Götter haben Sie [im Vortrag] auch aus der Instrumentierung der Oper abgeleitet durch die Parallelführung der Stimmen, das jedem Menschen der Gott zugeordnet wird ... Ja. Das ist in der Tat eine Sache, die in anderen Partituren so nicht vorkommt: Die Parallelführung bei gleicher Rhythmik zweier Instrumente. Dadurch ist eine Stimme unselbständig. Und das ist ein Deutungsversuch von mir, das so zu erklären, dass das mit der Figurenkonstellation zusammenhängen könnte - denn die menschlichen Figuren sind wirklich abhängig von ihren Göttern. [...] vollständiges Interview: Tilo Hähnel Peter Petersen: Kann man das vielleicht auch mit Opern oder Dramen von Berlioz vergleichen, der auch - zum Beispiel zu „Fausts Verdammnis“ - gesagt hat: „Es ist eigentlich gar nicht inszenierbar“, aber er hat es trotzdem komponiert? - Also eine Mischform, die zwischen Konzert und Oper changiert? Tja, ich würde eher sagen: Nein. - weil diese Oper [Phaedra] sehr gut zu inszenieren ist, wie man auch hier in Berlin sehen wird. Mussbach und Eliasson haben eine tolle szenische Konstruktion entwickelt, die das erste Mal das Orchester auch wirklich räumlich wie ein Spiegelbild der Bühne erscheinen lassen wird. Eliasson hat im Vorfeld gesagt, dass er von Musik und Oper eigentlich gar nicht so viel Ahnung hat und dass er sich hauptsächlich am Libretto orientiert hat. Ist das für Sie als Musikwissenschaftler und Henze- Kenner eher ein problematischer Ansatz? Ach, das würde ich nicht sagen. So ein Künstler bespricht sich ja mit Musikern, lässt sich das genau erklären, auch vorspielen auf dem Klavier, und ich kenne viele Künstler, die nicht Musiker sind, die aber gleichwohl hochmusikalisch sind und ganz differenziert hören. Von daher muss das nicht dagegen sprechen, sich einmal als bildender Künstler an einer Oper zu versuchen. Bei der Beschäftigung mit dem „Phaedra“- Stoff fällt mir auf, dass es eigentlich ein Hippolyth- Stoff ist. Also das ist eigentlich die große tragische Figur. Phaedra ist, wie oft in der Antike, die auslösende Frau, die aber auch nicht richtig was dafür kann. Ist auch bei Henze jetzt der Fokus stärker auf Phaedra als beispielsweise in Ovid? Also ich glaube, die halten sich in etwa die Waage, die beiden Figuren. Wobei im ersten Teil Phaedra noch stärker im Vordergrund steht als Hippolyth - im zweiten Teil umgekehrt. Phaedra ist natürlich die tragische Figur, weil sie sich selbst in eine Verstrickung bringt, aus der sie nur mit dem Selbstmord heraus kann. Von daher ist die tragische Komponente wirklich bei ihr zu Hause - während Hippolyth der Leidtragende ist. Er gewinnt nur gegen Schluss so etwas wie die Qualität einer Selbstbefreiung, in der er wirklich dieses ganze Intrigenspiel durchbricht und hinter sich lässt - einigermaßen turbulent übrigens, indem er Statuen der Göttinnen umschmeißt und Phaedra von sich stößt und so weiter, um frei zu sein von diesem ganzen merkwürdigen Ambiente. Kann man das dann auch symbolisch als „Überwindung der Religion“ deuten, weil die großen Götter, die die Menschen lenken, wenn diese von Hippolyth umgeworfen werden und er sich von ihnen verabschiedet: Ist das auch ein Zeitbezug, der auf das Heute rekurriert? Das glaube ich nicht. Denn die antike Religion ist überhaut gar nicht mit irgendeiner Religion von heute vergleichbar - schon gar nicht mit dem Christentum. Denn die Götter waren ja immer nur Partikularwesen, die zuständig waren für einzelne Bereiche. Und dies ist also eine heidnische Religionsform, die ganz und gar menschlich eigentlich war. Und darum glaube ich nicht, dass auf dem Wege ein Zeitbezug herzustellen ist. Sie haben es angesprochen [im Vortrag]: Henze hat sehr wenig Musiker, aber dafür umso mehr Instrumente in die Oper reinkomponiert. Wie ist die Verbindung zwischen den Figuren und ihrer Instrumentierung? Also man muss natürlich sagen, dass in allen Opern die Zahl der Sänger weit niedriger ist als die Zahl der Instrumente. Das Orchester, wenn Sie an Richard Wagner denken - im Tristan gibt es ein paar Hauptfiguren, die singen und das Orchester ist einfach riesig, noch viel größer als Henzes. Bei „Phaedra“ ist es eher so, dass es ein Kammerorchester ist, also ein kleines Orchester, dem vier beziehungsweise fünf Sänger dann gegenüberstehen. Dieses Ensemble ist aber mit Bedacht gewählt und sehr geschickt einfach, indem einmal alle Bereiche des Orchesters vertreten sind: Die Holzbläser, die Blechbläser, das Schlagwerk und die Streicher und dazu diese Kurztoninstrumente in großer Zahl, wie Klavier, Celesta und Harfe. Und diese Verbindung der Menschen und der Götter haben Sie [im Vortrag] auch aus der Instrumentierung der Oper abgeleitet durch die Parallelführung der Stimmen, das jedem Menschen der Gott zugeordnet wird ... Ja. Das ist in der Tat eine Sache, die in anderen Partituren so nicht vorkommt: Die Parallelführung bei gleicher Rhythmik zweier Instrumente. Dadurch ist eine Stimme unselbständig. Und das ist ein Deutungsversuch von mir, das so zu erklären, dass das mit der Figurenkonstellation zusammenhängen könnte - denn die menschlichen Figuren sind wirklich abhängig von ihren Göttern. In wie weit ist die Oper harmonisch? Also ist sie sehr atonal oder gibt es doch konkrete tonale Bezüge? Ja, es gibt tonale Bezüge, wie in allen Werken Henzes mehr oder weniger. Er möchte die gesamte Musikgeschichte immer auch mit anklingen lassen in seinem Werk. Nicht, weil er eklektisch ist, sondern weil er meint, die Geschichte, die gehört in das Bewusstsein von jedem Menschen hinein. Er rechnet auch damit, dass diese Art der älteren tonalen Musik noch vertraut ist und spielt darauf an. Insgesamt ist es aber natürlich eine atonale Oper, die aber in der Wahl der einzelnen Klänge sehr oft konsonant ist, viele Terzen enthält, farblich angereicherte tonale Klänge. |