Sandra Leupold, Immo Karaman,
Regisseure

Die Oper Leipzig zeigt drei Einakter von Arnold Schönberg unter dem Titel „Moderne Menschen“. Die drei Bühnenstücke laufen in umgekehrter chronologischer Reihenfolge ab, beginnen also mit Schönbergs Ehestück „Von heute auf Morgen“, gefolgt von seinem Gesamtkunstwerk „Die glückliche Hand“ und dem Monodram „Die Erwartung“. Drei Kurz- Opern, drei Regisseure und drei verschiedene Ansätze, mit Arnold Schönberg umzugehen machten den Abend zu einem kurzweiligen wie abwechslungsreichen Erlebnis. Die Regisseurin Sandra Leupold inszeniert „Die Erwartung“ aus dem Jahr 1909, das für eine einzige Sängerin konzipiert ist, deren zerrissenes Inneres Schönberg musikalisch bis ins Extrem auslotet. Immo Karaman inszeniert „Von Heute auf Morgen“, ein Eifersuchtsstück von 1929, das Schönberg in der 12- Ton Technik komponiert hat. Ich hatte im Vorfeld die Gelegenheit, mich mit Immo Karaman und Sandra Leupold zu unterhalten.


gekürztes Interview

vollständiges Interview

Rezension


gekürztes Interview

Tilo Hähnel (TH)
Es sind ja drei Regisseure, die drei Stücke von Schönberg inszenieren: Gibt es irgendwelche Absprachen oder Zusammenarbeiten, dass es ein übergeordnetes Konzept wird?

Immo Karaman (IK):
Ich denke, es gibt von der Leitung eine klare Absprache, und die heißt: es gibt drei Teams und die sollen autonom diese Einakter erarbeiten.

TH
Die drei Opern sind mit „Moderne Menschen“ überschrieben. Als Schönberg komponierte, hat sich die Gesellschaft verändert - insofern waren es damals moderne Menschen. Wie modern sind Ihre Menschen?

Sandra Leupold (SL):
Diese Frau in „Erwartung“ [...] ist irgendwo in einem ganz klassischen Operntopos und mit einem klassischen Problem konfrontiert: nämlich verlassen worden zu sein. Und irgendwo ist sie es auch nicht, denn das Stück weist entschieden darüber hinaus, dass sie nur ein Problem mit dem untreuen Liebhaber hat. Sie ist einsam in einer größeren Dimension, [...] die etwas zu tun hat mit der sozialen Verödung in Großstädten in einer aufkeimenden Industriegesellschaft, in dieser wahnsinnigen Zeit: Wien um die Jahrhundertwende [...].

TH
Also ist diese Modernität immer noch...

SL
...jaja, das ist natürlich ein Thema, was zumindest diese hundert Jahre durchgehend aktuell geblieben ist. Wir werden sehen, [...] zu welchen Extremen das noch führen wird [...].

TH
(zu IK:) Wie modern sind Ihre Menschen?

IK
Am Ende von „Von heute auf morgen“ steht ja die Frage eines Kindes: „Mama, was sind das überhaupt: ‚Moderne Menschen‘?“ [...] Es hinterfragt für mich einfach ganz klug vielerlei: Einmal scheint es so, dass wir zum Teil jetzt bald hundert Jahre später immer noch nicht an den Punkt angelangt sind, wo wir Schönberg einfach ohne Erklärungsnot auf den Spielplan setzen können. Und hier in diesem Stück „Von heute auf Morgen“ ist es im Grunde genommen auch keine schwierige Aufgabe: Es ist ein [...] Fallbeispiel einer Beziehung, wie sie heute eben auch stattfinden könnte: Es hat in dem Sinne den Vorteil, dass die Menschen der 20er Jahre uns [...] einfach schon mal näher sind. Und das diese Menschen sich damit auseinander setzen: „Wie viel Bestand habe ich in der Gesellschaft, wenn ich mich nicht einer Mode unterwerfe?“, „Wann bin ich überhaupt modisch? - Oder bin ich nicht schon gestrig, wenn ich mich mit Mode ausstatte? - Also muss ich nicht eigentlich der Erfinder von Mode sein, um überhaupt eigentlich up to date zu sein?“ - Das sind Fragen, mit denen wir heutzutage mehr als genug bombardiert werden [...].

TH
Und mit der Sie uns dann konfrontieren...

IK
Ich hoffe!

TH
Macht es für Sie einen Unterschied, eine Oper zu inszenieren, die eher selten gespielt wird (wie es ja bei beiden Schönberg- Stücken ist), oder ob man jetzt die X. „Don Giovanni“- Inszenierung macht?

SL
Nö.

IK
Ich würde sagen, also im Inszenieren selbst macht es keinen Unterschied. In der Vorbereitungszeit muss ich manchmal sagen, bin ich diesen gewissen Inszenierungs- Traditionen ausgesetzt [...]. Mit denen muss ich umgehen. [...] Also ich hab eigentlich nie das Bedürfnis, ich muss jetzt originär sein, ich muss originell sein [...] aber ich will mich natürlich auch nicht von irgendwelchen Erinnerungen leiten lassen. [...] Und wenn aber irgendwie [...] ständig irgendwelche Leute reinposaunen, aus der Erinnerung oder man hört: „Ich hab die eigentlich wahre Entdeckung gemacht zu diesem Stück und Herr Konwitschny hat in den 90gern das ja schon so auf den Punkt gebracht und der Wissenschaftler XY hat ja rausgefunden, man muss beim ‚Rosenkavalier‘ aber diesen und diesen und diesen Aspekt hervorschälen“, da wird mir manchmal richtig schlecht.

TH
Insofern ist es befreiend, dann Schönberg zu inszenieren.

IK
In jedem Fall.

TH
Angeblich hat Schönberg die Uraufführung in Mannheim abgesagt mit der Begründung, dass die Besetzung nicht ausreicht. Er hat geschrieben: „Meine Musik muss, wenn sie den Unglauben überwinden können soll, unbedingt so gebracht werden, wie sie gedacht ist.

SL
Völlig richtig. Also eine Musik, die so wahnsinnig kompliziert und so sehr auf Messers Schneide komponiert ist, ein solches Werk soll man dann auch nicht spielen, wenn man es nicht glasklar und transparent [...] sehr exakt in seinem Ausdruck verorten kann. Das Stück lebt von Kontrasten, lebt von einer kaum auszuhaltenden Dichte an einander eigentlich ausschließenden Emotionen. - Und von einer musikalischen, ja, sagen wir mal „Hochleistungssport- artigen“ Konzentration, [...]. Diese Musik musste sich mitteilen, dadurch, dass sie so gespielt wurde, wie sie da stand.

TH
„Von heute auf morgen“ ist ein 12 Ton Stück durch und durch. Wenn man keine harmonischen Ausdeutungen hat als Hinweise für eine Interpretation - ist das dann schwerer, so ein Stück zu inszenieren?

IK
Ich denke, wie sind jetzt in der Musikgeschichte doch einen großen Schritt weiter, [...]. Es ist ja in dem Sinne auch eine Musiksprache. Und eine, die erstmal nicht anders behandelt werden muss als eine Musiksprache eines Giuseppe Verdi, in dem Sinne. [...] Also „Von heute auf Morgen“ sollte eigentlich ein sehr leichtes Stück werden, kommt aber eben sehr, zunächst mal - ohne das jetzt weiter werten zu wollen - sehr sperrig rüber und sehr brachial. Ihm ist zunächst offensichtlich nicht das gelungen, was er sich vorgenommen hat. Aber es ist etwas daraus entstanden, etwas viel Größeres, was viel Bedeutenderes als eine Art von Boulevardkomödie mit Musik.

TH
Versuchen Sie, über Ihre Inszenierung wieder Leichtigkeit reinzutransportieren?

IK
Auf gar keinen Fall! Im Gegenteil: Schönberg [...] sagte: Also die Musiksprache ist eigentlich eine Ebene, und das, was sich dann in Korrespondenz herstellt, ist wieder eine neue Ebene. Und das war uns eigentlich in der Konzeption dann eben sehr wichtig, jetzt überhaupt nicht Partei für die Komödie zu ergreifen, - abgesehen davon, dass er (ich weiß nicht, aus welcher Richtung) das auch ganz schnell heruntergespielt hat. Er sagte also: Die Leute dürfen eigentlich im Theater nicht sitzen und sich auf die Schenkel hauen vor Lachen. Man könnte ihm böse unterstellen: Es ist ihm offensichtlich auch nicht gelungen... . Man kann aber natürlich auch sagen: Es entsteht etwas viel existenzielleres, was scheinbar auf einer leichten Ebene beginnt.

TH
Scheint dann die Komödie noch durch?

IK
Ja, die Frage ist: Wie definiere ich die Komödie? Für mich heißt das eigentlich, - also Komödie hat eigentlich immer auch sehr viel mit Tragik zu tun. [...] Also, wenn ich eigentlich das Tragische entdecke von Vorgängen und auch die Hilflosigkeit der Menschen darin, ist das Lachen eher immer eine Art von Befreiung. Das streben wir natürlich an. Also es geht dann natürlich schon in Richtung von Absurdität und Groteske [...].

TH
Sie sprachen die verschiedenen Ebenen an - da würde ich noch mal gern zur „Erwartung“ kommen: Zur Zeit, in der Schönberg „Erwartung“ komponiert hat, hat er auch mit Kandinsky kommuniziert, Briefe geschrieben, und es entstand auch so eine Idee über eine Art Gesamtkunstwerk - aber nicht im Wagnerschen Sinne, sondern auf einer abstrakteren Ebene. Also Kandinsky sprach von „monumentaler Kunst“, dass Bild und Musik zusammen gehören...

SL
Das betrifft aber ausschließlich die Entstehungsgeschichte von „Die glückliche Hand“. Die „Erwartung“ folgt ganz anderen Wünschen; Wünschen nach einem extrem reduzierten und extrem dichten Realismus, der auskommt ohne weitere Ebenen, die man jetzt wahnsinnig genau determinieren muss in der Bühne. [...] Die Beschäftigung mit Malerei, mit Kandinsky, mit Richard Gerstl ist total wichtig in der Zeit, hat ihn ja auch privat sehr berührt - seine Frau hat ihn betrogen mit Richard Gerstl, er hat sich darauf das Leben genommen - und vor diesem Hintergrund muss man ansiedeln, dass es zu einem Stück wie „Erwartung“ gekommen ist. Malerei ist ein großes Thema für ihn sein ganzes Leben lang gewesen, aber in „Erwartung“ hat es nicht viel zu suchen.


vollständiges Interview:

Tilo Hähnel (TH):
Es sind ja drei Regisseure, die drei Stücke von Schönberg inszenieren: Gibt es irgendwelche Absprachen oder Zusammenarbeiten, dass es ein übergeordnetes Konzept wird?

Immo Karaman (IK):
Ich denke, es gibt von der Leitung eine klare Absprache, und die heißt: es gibt drei Teams und die sollen autonom diese Einakter erarbeiten.

TH
Die drei Opern sind mit „Moderne Menschen“ überschrieben. Als Schönberg komponierte, hat sich die Gesellschaft verändert - insofern waren es damals moderne Menschen. Wie modern sind Ihre Menschen?

Sandra Leupold (SL):
Diese Frau in „Erwartung“, die ja nicht mal einen Namen hat, ist irgendwo in einem ganz klassischen Operntopos und mit einem klassischen Problem konfrontiert: nämlich verlassen worden zu sein. Und irgendwo ist sie es auch nicht, denn das Stück weist entschieden darüber hinaus, dass sie nur ein Problem mit dem untreuen Liebhaber hat. Sie ist einsam in einer größeren Dimension, in einer Dimension die etwas zu tun hat mit der sozialen Verödung in Großstädten in einer aufkeimenden Industriegesellschaft, in dieser wahnsinnigen Zeit: Wien um die Jahrhundertwende. Diese Frau ist auf eine andere Art einsam, als nur von ihrem Geliebten verlassen worden zu sein. Es gibt eine tolle Textstelle: „Tausend Menschen ziehen vorüber - ich erkenn' Dich nicht“, und eine andere, in der sie fragt: „Was soll ich machen mit meinem Leben?“ Da wird gesprochen von einer sozialen Vereinsamung die sehr weit hinaus geht über den klassischen Operntopos der verlassenen Geliebten.

TH
TH: Also ist diese Modernität immer noch...

SL
...jaja, das ist natürlich ein Thema, was zumindest diese hundert Jahre durchgehend aktuell geblieben ist. Wir werden sehen, wo das in weiteren hundert Jahren, zu welchen Extremen das noch führen wird. Aber es sieht ja so aus, als würde es eher schlimmer als besser.

TH
(zu IK:) Wie modern sind Ihre Menschen?

IK
Am Ende von „Von heute auf morgen“ steht ja die Frage eines Kindes: „Mama, was sind das überhaupt: ‚Moderne Menschen‘?“ Ich glaube, diese Frage eben auch als Metapher, als auch eine Frage nach Mode, steht auch über der Konzeption, dieser drei Stücke dieser drei Teams. Ich sehe uns jetzt einmal als junge Teams an, als Teams, die also auch für modernes Regie- Theater stehen. Es hinterfragt für mich einfach ganz klug vielerlei: Einmal scheint es so, dass wir zum Teil jetzt bald hundert Jahre später immer noch nicht an den Punkt angelangt sind, wo wir Schönberg einfach ohne Erklärungsnot auf den Spielplan setzen können. Und hier in diesem Stück „Von heute auf Morgen“ ist es im Grunde genommen auch keine schwierige Aufgabe: Es ist ein Ehepaar, übrigens auch ohne Namen (es ist nur „der Mann“ und „die Frau“, also auch sehr piktogrammartig), und es ist ein Fallbeispiel einer Beziehung, wie sie heute eben auch stattfinden könnte: Es hat in dem Sinne den Vorteil, dass die Menschen der 20er Jahre uns in ihren Bestrebungen auch nach Gleichberechtigung, auch in dem Kontext eines industriellen Zeitalters, eines technisierten Umfelds zu leben, uns einfach schon mal näher sind. Und das diese Menschen sich damit auseinander setzen: „Wie viel Bestand habe ich in der Gesellschaft, wenn ich mich nicht einer Mode unterwerfe?“, „Wann bin ich überhaupt modisch? - Oder bin ich nicht schon gestrig, wenn ich mich mit Mode ausstatte? - Also muss ich nicht eigentlich der Erfinder von Mode sein, um überhaupt eigentlich up to date zu sein?“ - Das sind Fragen, mit denen wir heutzutage mehr als genug bombardiert werden und die uns auch eigentlich jeden Tag damit auch in Frage stellen als Individuum.

TH
Und mit der Sie uns dann konfrontieren...

IK
Ich hoffe!

TH
Macht es für Sie einen Unterschied, eine Oper zu inszenieren, die eher selten gespielt wird (wie es ja bei beiden Schönberg- Stücken ist), oder ob man jetzt die X. „Don Giovanni“- Inszenierung macht?

SL
Nö.

IK
Ich würde sagen, also im Inszenieren selbst macht es keinen Unterschied. In der Vorbereitungszeit muss ich manchmal sagen, bin ich diesen gewissen Inszenierungs- Traditionen ausgesetzt, die ich unweigerlich in meinem Kopf habe, über visuelle Erlebnisse, also dass ich bestimmte Inszenierungen gesehen habe, dass ich bestimmte Bilder im Kopf habe, die ich gespeichert habe. Mit denen muss ich umgehen. Das fällt mir manchmal schwer, diesen Prozess dann auch auszuhalten und zu sagen: „Das muss erstmal weg“. Aber natürlich - In dem Moment setzte ich mich neu wieder damit auseinander. Und das empfinde ich eigentlich als einen sehr glücklichen Umstand, sich mit Stücken, Uraufführungen auseinanderzusetzen - dass dieser Prozess erstmal wegfällt.

TH
Sie haben also nicht den Druck, etwas Neues schaffen zu müssen.

IK
Ja den will ich mir auch nie setzen. Also ich hab eigentlich nie das Bedürfnis, ich muss jetzt originär sein, ich muss originell sein, ich muss was Neues erschaffen; aber ich will mich natürlich auch nicht von irgendwelchen Erinnerungen leiten lassen. Ich versuche sehr pur, natürlich wie jeder aus sich heraus zum wahrsten Ton zu kommen. Und wenn aber irgendwie aus den Nebenräumen ständig irgendwelche Leute reinposaunen, aus der Erinnerung oder man hört: „Ich hab die eigentlich wahre Entdeckung gemacht zu diesem Stück und Herr Konwitschny hat in den 90gern das ja schon so auf den Punkt gebracht und der Wissenschaftler XY hat ja rausgefunden, man muss beim ‚Rosenkavalier‘ aber diesen und diesen und diesen Aspekt hervorschälen“, da wird mir manchmal richtig schlecht.

TH
Insofern ist es befreiend, dann Schönberg zu inszenieren.

IK
In jedem Fall.

TH
Angeblich hat Schönberg die Uraufführung in Mannheim abgesagt mit der Begründung, dass die Besetzung nicht ausreicht. Er hat geschrieben: „Meine Musik muss, wenn sie den Unglauben überwinden können soll, unbedingt so gebracht werden, wie sie gedacht ist.

SL
Völlig richtig. Also eine Musik, die so wahnsinnig kompliziert und so sehr auf Messers Schneide komponiert ist, ein solches Werk soll man dann auch nicht spielen, wenn man es nicht glasklar und transparent und wirklich auf Messers Schneide sehr exakt in seinem Ausdruck verorten kann. Das Stück lebt von Kontrasten, lebt von einer kaum auszuhaltenden Dichte an einander eigentlich ausschließenden Emotionen. - Und von einer musikalischen, ja, sagen wir mal „Hochleistungssport- artigen“ Konzentration, dass es in der Tat zu einem schmutzigen braunen Etwas wird, wenn man das nicht hundertprozentig trifft. Ich kann ihn wunderbar verstehen. Und er spricht natürlich sowieso in einer Zeit, in der er sich ohne CDs und andere Tonträger nur durch Konzerte und Aufführungen mitteilen konnte. Wer kann denn so eine Musik schon lesen? Und das ist heute noch unwahrscheinlicher als damals, dass man auf gebildetes Publikum trifft, dass die Musik tatsächlich hört, wenn sie sie liest. Diese Musik musste sich mitteilen, dadurch, dass sie so gespielt wurde, wie sie da stand.

TH
„Von heute auf morgen“ ist ein 12 Ton Stück durch und durch. Wenn man keine harmonischen Ausdeutungen hat als Hinweise für eine Interpretation - ist das dann schwerer, so ein Stück zu inszenieren?

IK
Ich denke, wie sind jetzt in der Musikgeschichte doch einen großen Schritt weiter, haben uns an eine Musiksprache auch gewöhnen können, die sich im 20. Jahrhundert entwickelt hat. Es ist ja in dem Sinne auch eine Musiksprache. Und eine, die erstmal nicht anders behandelt werden muss als eine Musiksprache eines Giuseppe Verdi, in dem Sinne.Schönberg war, glaube ich, einer sehr vom Intellektuellen Kommenden, einer, der, glaube ich, sehr darunter gelitten hat, dass sein Kopf manchmal stärker eingegriffen hat, als vielleicht eine, ich sage mal, von Herzen kommende Kreativität. Deshalb scheint seine Formsprache eben auch manchmal sehr didaktisch erstmal zu wirken. Aber es ist doch der unmittelbare Versuch, erstmal eine Sprache zu formulieren. Das er vielleicht, um das jetzt mal im Fall „Von heute auf Morgen“ möglicherweise nicht immer gleich die richtigen Mittel für das richtige Sujet ausgewählt hat, das ist etwas, worunter er auch sehr in der Rezeption gelitten hat. Also „Von heute auf Morgen“ sollte eigentlich ein sehr leichtes Stück werden, kommt aber eben sehr, zunächst mal - ohne das jetzt weiter werten zu wollen - sehr sperrig rüber und sehr brachial. Ihm ist zunächst offensichtlich nicht das gelungen, was er sich vorgenommen hat. Aber es ist etwas daraus entstanden, etwas viel Größeres, was viel Bedeutenderes als eine Art von Boulevardkomödie mit Musik.

TH
Versuchen Sie, über Ihre Inszenierung wieder Leichtigkeit reinzutransportieren?

IK
Auf gar keinen Fall! Im Gegenteil: Schönberg hat, glaube ich, im nächsten Moment, also nach der Komposition, nach den ersten Aufführungen darüber reflektiert und sagte: Also die Musiksprache ist eigentlich eine Ebene, und das, was sich dann in Korrespondenz herstellt, ist wieder eine neue Ebene. Und das war uns eigentlich in der Konzeption dann eben sehr wichtig, jetzt überhaupt nicht Partei für die Komödie zu ergreifen, - abgesehen davon, dass er (ich weiß nicht, aus welcher Richtung) das auch ganz schnell heruntergespielt hat. Er sagte also: Die Leute dürfen eigentlich im Theater nicht sitzen und sich auf die Schenkel hauen vor Lachen. Man könnte ihm böse unterstellen: Es ist ihm offensichtlich auch nicht gelungen... . Man kann aber natürlich auch sagen: Es entsteht etwas viel existenzielleres, was scheinbar auf einer leichten Ebene beginnt.

TH
Scheint dann die Komödie noch durch?

IK
Ja, die Frage ist: Wie definiere ich die Komödie? Für mich heiß das eigentlich, - also Komödie hat eigentlich immer auch sehr viel mit Tragik zu tun. Also das Tragikomische ist das, was viel mehr Wert hat. Also, wenn ich eigentlich das Tragische entdecke von Vorgängen und auch die Hilflosigkeit der Menschen darin, ist das Lachen eher immer eine Art von Befreiung. Das streben wir natürlich an. Also es geht dann natürlich schon in Richtung von Absurdität und Groteske, aber viel weniger jetzt in eine Art von Komödie von Grid Böttcher und Harald Juhnke.

TH
Sie sprachen die verschiedenen Ebenen an - da würde ich noch mal gern zur „Erwartung“ kommen: Zur Zeit, in der Schönberg „Erwartung“ komponiert hat, hat er auch mit Kandinsky kommuniziert, Briefe geschrieben, und es entstand auch so eine Idee über eine Art Gesamtkunstwerk - aber nicht im Wagnerschen Sinne, sondern auf einer abstrakteren Ebene. Also Kandinsky sprach von „monumentaler Kunst“, dass Bild und Musik zusammen gehören...

SL
Das betrifft aber ausschließlich die Entstehungsgeschichte von „Die glückliche Hand“. Die „Erwartung“ folgt ganz anderen Wünschen; Wünschen nach einem extrem reduzierten und extrem dichten Realismus, der auskommt ohne weitere Ebenen, die man jetzt wahnsinnig genau determinieren muss in der Bühne. Das ist ein Monologabend, der zwar Regieanweisungen hat, aber das Stück kann hervorragend auskommen ohne alle diese weiteren Ebenen, die Sie eben angesprochen haben. Die Beschäftigung mit Malerei, mit Kandinsky, mit Richard Gerstl ist total wichtig in der Zeit, hat ihn ja auch privat sehr berührt - seine Frau hat ihn betrogen mit Richard Gerstl, er hat sich darauf das Leben genommen - und vor diesem Hintergrund muss man ansiedeln, dass es zu einem Stück wie „Erwartung“ gekommen ist. Malerei ist ein großes Thema für ihn sein ganzes Leben lang gewesen, aber in „Erwartung“ hat es nicht viel zu suchen.


Rezensionen

Der Sieger des Abends der drei Inszenierungen war, wenn man nur den Applaus betrachtet, die „Erwartung“ - verkörpert durch die sängerische Leistung von Deborah Polaski. Und es gewann das Orchester. Verlierer gab es keine. Die Schönberg- Einakter füllen jeder für sich keinen ganzen Abend und laufen deshalb Gefahr, Anhängsel eines weiteren Bühnenstücks zu werden. Die Lösung, diese Einakter zu einem Opern- Dreiakter zusammenzuführen, kommt den Stücken zu 100 Prozent zu Gute.


Von Heute auf Morgen

„Von Heute auf Morgen“ zeigt, was einer Ehe droht, wenn die biedere Ehefrau sich plötzlich in die vermeintliche Traumfrau des gelangweilten Ehemanns verwandelt: In eine aufgestylete, sprunghafte und spontane femme Fatale. Was anfangs den Mann umwirft, wird zu einem Desaster, denn die Frau, die jetzt die Männer fesselt, ist selbst nicht mehr bindungsfähig. Die Bühne von Kaspar Zwinge transportiert am Laufenden Band Waschmaschine, Staubsauger, Küchentisch und Sessel von links nach rechts über den Guckkasten. Anfangs werden die Gegenstände noch benutzt und bedient, später wachsen sie aber zu einem Chaos nicht erledigter Haushaltsaufgaben an. Die namenlose Frau, gesungen von Henrikje Wangemann präsentierte ihre 12 Ton- Partie so sicher, als wäre es ein heiteres Operettenstückchen und den dazugehörigen Mann gab Wolfgang Newerla nicht nur gesanglich, sondern vor allem schauspielerisch beeindruckend. Für den Regisseur Immo Karaman ist „Von heute auf Morgen“ kein heiteres Stück, denn zu seiner Inszenierung des Schönberg- Stückes sagte Karaman:

„ ‚Von heute auf Morgen’ sollte eigentlich ein sehr leichtes Stück werden, kommt aber eben sehr, zunächst mal - ohne das jetzt weiter werten zu wollen - sehr sperrig rüber und sehr brachial. Ihm ist zunächst offensichtlich nicht das gelungen, was er sich vorgenommen hat.“

Und auf die Frage, ob Karaman diese Leichtigkeit wieder zurückbringen wolle, sagte er ganz klar:

„Auf gar keinen Fall! Im Gegenteil“

Ja, Immo Karavan ist bei seiner Inszenierung selbst offensichtlich auch nicht das gelungen, was er sich vorgenommen hat, denn es ist durchaus eine Komödie, die er dem Publikum vorführt, und eine beeindruckende obendrein: Operation misslungen, Patient bei bester Gesundheit, könnte man in diesem Zusammenhang sagen, aber natürlich weniger als scharfes Urteil, sondern eher als aufatmendes Lob gemeint, wenn ein bekennender Regisseur für modernes Regietheater Schönheit ohne nacktes Fleisch und Ernst durch Witz zu inszenieren versteht. Eine wirkliche Komödie im antiken oder klassischen Sinn ist es dann aber auch nicht, wenn Karaman das Ende offen lässt. Es bleiben zwei Pärchen, eines Opfer der Mode und eines, das auf den Trümmern seiner Ehekrise wieder am Küchentisch Platz nimmt. Ein Happy End sieht anders aus, das hat Karaman auch vermieden, zu recht.


Die glückliche Hand

„Die glückliche Hand“ war gut gemeint, aber das ist bekanntlich das Gegenteil von Gut, denn Carlos Wagner hatte eine Idee, die durch ein Missgeschick gänzlich zerstört wurde: „Die glückliche Hand“ ist die komponierte Tragik eines ewig Scheiternden, in der Schönberg ein Bühnenexperiment wagt und dabei Musik wie Bühne, Farbe und Form minutiös vorschreibt. Farbe und Form stehen gleichberechtigt neben den Noten in der Partitur Schönbergs. Seine Bühnenanweisungen sind mehr als 3 Mal so lang wie der Text, den der einzige Sänger vorzutragen hat, dessen glückliche Hand die Frau berühren durfte, die er gern besäße.
Schönbergs Regie- Korsett ist natürlich ein Problem für einen Regisseur, der eigene Ideen verwirklichen will. Wagner entzog sich dem komponierten Farbenspiel, indem er Bühnenbild und Hauptdarsteller gänzlich Schwarz- Weiß beließ und Schönbergs Bühnenanweisung lediglich in Form von Text an die hintere Bühnenwand projizieren ließ.
Mit seiner Idee, einen Astronauten zwischen Fußballern agieren zu lassen, trieb Wagner das Thema des Fremd- Seins auf die Spitze. Der schwebende Bassbariton Matteo Monti erinnerte unweigerlich an Stanley Kubricks Filmklassiker „2001 Odyssee im Weltraum“, nur übernimmt in Leipzig Schönbergs Anfangschor die Rolle des Kyrie aus Ligetis Requiem und Schönbergs Pauken bekommen die Funktion von Richard Strauss’ Zaratustra- Eröffnung. Das hat zwar mit der glücklichen Hand nur bedingt zu tun, sorgt aber auf jeden Fall für ein eindrucksvolles Bild.
Indem Carlos Wagner der Bühne jegliche Farbe entzog, entzog er dem Stück seinen Sinn als Gesamtkunstwerk, um eine Visuelle tabula rasa zu schaffen, auf der er seine Regiearbeit komplett neu konstruieren konnte. Das war einerseits ein gewagter, aber, wenn man dieses Stück überhaupt neu inszenieren will, ein notwendiger Schritt. Wagners Arbeit liegt in einer fein abgestimmten Choreografie zwischen dem Bassbariton Matteo Monti und der kubanischen Tänzerin Meylem González. Die ungeheure Dramatik der Musik spielte sich zwischen Überdimensionierten Luftballon -Fußbällen ab, die sich luftig wippend über den gesamten Bühnenraum verteilten. Als nun in der Schlüsselszene einer dieser Bälle in den Orchestergraben sank und trotz mehrfacher Versuche seitens der Musiker nicht wieder auf die Bühne zurück, sondern, im Gegenteil, ins Parket schwebte, konnte sich das Publikum nicht mehr des Lachens enthalten und es kam zu zahlreichen Ballberührungen, die den Ernst der Inszenierung verspielten und den traurigen Höhepunkt der eigentlichen Inszenierung ins Abseits stellten. Dass die Gefahr einer solchen Entgleisung durch Daphne Kitschens Bühnenbild offensichtlich war, zeigten einige solcher Beinahe-Katastrophen, denn immer wieder blieben diese Ballons erst am Rand der Bühne liegen und lenkten wippend das Publikum ab. Der beeindruckende Chor von Tom Baert und das Gewandhaus- Orchester, das Axel Kober mit sicherer Hand durch das unwegsame Gelände aus Klangfarben, Dynamik und Kontrasten manövrierte, konnte dadurch leider nicht die Aufmerksamkeit erreichen, die es ohne Balleinlage verdient hätte.


Erwartung

Die Erwartung ist das erste Bühnenstück Schönbergs, dass er 1909 komponierte. Im Prinzip muss man die Erwartung kaum inszenieren. Schönberg selbst schrieb 1929: „In der Erwartung ist es die Absicht, das, was sich in einer Sekunde hektischer höchster Erregung abspielt, sozusagen mit der Zeitlupe auf eine halbe Stunde ausgedehnt, darzustellen.“ In dieser Halben Stunde durchlebt der Zuschauer eine emotionale Achterbahnfahrt, eine Gesangspartie mit allerhöchstem Anspruch und ein Orchesterstück, dass kaum an Spannung zu überbieten ist. Die Innenwelt der hier namenlosen Frau ist eine nächtliche Verirrung durch einen Wald, in dem die Frau ihren toten Geliebten ermordet auffindet und die gescheiterte Beziehung mit ihm im Wahnsinn assoziiert. Den Text von Marie Pappenheim führt Schönberg aus dem Symbolismus und der Romantik des 19. in das 20. Jh. Die Regisseurin Sandra Leupold nimmt diese Bewegung auf und geht mit dem Material ins 21. Die Wahnsinns- Vorstellungen zeigt sie nicht, sondern setzt das Publikum der äußeren Leere der Frau aus. Die Bühne von Tom Musch ist diese kalte Leere eines Tisches, Stuhles, eines Mikrofons und einer Kamera, einer beängstigenden Leere, die Leupold dafür verantwortlich macht, dass die Frau dem Wahnsinn verfällt. Deborah Polaskis Leib und Magenrolle ist die Elektra von Richard Strauß, und es gibt wohl keine Rolle, jemanden besser qualifiziert, um sich an Schönbergs Erwartung heranzuwagen. Polaski hielt die Erwartung souverän durch, während sie mit nur wenigen cm Abstand in die Kamera blickte und so, auf Leinwände übertragen, dem Publikum übergroß den blutrünstigen Text entgegenschmetterte. Die Kamera wurde zum einzigen Mittel der Kommunikation nach außen, aber in Leupolds Welt gab es nur den Weg nach außen, keine Antwort mehr. Das Verlassensein hat Sandra Leupold ins absolute gesteigert:

„Sie ist einsam in einer größeren Dimension, in einer Dimension die etwas zu tun hat mit der sozialen Verödung in Großstädten [...]
Das ist natürlich ein Thema, was zumindest diese hundert Jahre durchgehend aktuell geblieben ist. Wir werden sehen, wo das in weiteren hundert Jahren, zu welchen Extremen das noch führen wird. Aber es sieht ja so aus, als würde es eher schlimmer als besser.“


Das Interview wurde am 30. März 2008 auf RADIOROPA Berlin gesendet.